Rezi „Das Rachespiel“ – Arno Strobel

Das Rachespiel – Arno Strobel


Eine kleine Familie, ein Haus, eine gutlaufende Softwarefirma. Frank Geissler kann sich nicht beschweren. Als ihm eines Tages einen silbernen Memorystick ohne Begleitschreiben oder Erklärung zugesendet wird, denkt er zunächst noch an eine Art Marketing.

Gehe morgen, Sonntag, um Punkt zwölf auf diese Seite. Und kein Wort. Zu niemandem. Es geht um ein Leben. http://www.das-spiel.to.

Trotz anfänglicher Bedenken lässt sich Frank von den Worten locken und klickt sich auf die Internetseite ein. Ein Spiel auf Leben und Tod, welches nicht nur ihn, sondern auch seine Familie bedroht beginnt.

Abgesehen vom Autorennamen und dem Buchtitel befindet sich auf dem Cover des Buches nur ein in einem Lichtkegel zusammengekauerter, fast nackter, von Dunkelheit umgebener Mann. Ein Bild das Angst und Einsamkeit vermittelt.

„Erfüllst du deine Aufgabe, kommt er frei. Erfüllst du sie nicht, wird er sterben.“ Frank hat mit allem gerechnet, doch das, was sich dort auf seinem Bildschirm abspielt lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ratten fallen über einen nackten, am Boden gefesselten Mann her, beißen sich in dessen Körper.

Immer noch hofft Frank, dass es sich um ein gefaktes Video handelt, dass ihm irgendjemand nur einen Streich spielen will. Doch Hals über Kopf gerät alles außer Kontrolle, holt ihn die Vergangenheit ein und lässt ihn mehr als nur einmal zweifeln und verzweifeln.

Das Rachespiel beginnt mit einem Zitat von Manfred Hinrich: „Schuld stirbt in Vergebung oder tötet“. Damit ist schon fast alles gesagt. Sozusagen die Essenz des Thrillers welcher sich in zwei Handlungssträngen teilt. Die Gegenwart, teilweise mit Uhrzeiten gekennzeichnet, wird durch den Erzählstrang „Damals“ unterbrochen. Dieser erklärt dem Leser nach und nach, wie es zum Rachespiel kommen konnte, ohne die Lösung zu früh zu verraten. Arno Strobel spannt einen Spannungsbogen ausgesprochen stramm, so dass an ein Beiseitelegen des Buches nicht zu denken ist.

Mein erster Gedanke? Arno Strobel will seinen Lesern dieses Mal RICHTIG Angst einjagen. Es sei vorweg genommen, er schafft es.

Als erprobte Thriller-Leserin konnten mich die ersten Kapitel nicht wirklich schocken und ich wähnte mich in sicheren Gefilden. Doch dann kippt die Geschichte. Der Autor potenziert die Urängste der Menschen. Er schließt seine Figuren ein, nimmt ihnen die Orientierung, hungert sie aus und hetzt sie gegeneinander auf. Gut und Böse verlieren in der Dunkelheit ihre Konturen. Zu allem Überfluss bringt Arno Strobel noch den Faktor Ratten ins Spiel – für die meisten Menschen schon per se der blanke Horror – in Verbindung mit der bedrückenden Umgebung werden viele während und nach dem Lesen der Lektüre kratzende Geräusche oder hier und da glauben ein leises Fiepen zu hören.

Habe ich mich in meiner Rezension zu „Der Sarg“ noch darüber beschwert, dass mir die Dialoge zu flach seien, kann ich mich dieses Mal nicht beschweren. Sie sind auf den Punkt und untermalen die Situationen deutlich, vermitteln das Grauen immer wieder auf ein Neues.

Fazit: Bitte mehr davon.

Leseempfehlung? Selbstverständlich.

Für wen? Jeden, der sich traut sich seinen Ängsten zu stellen.

Das Rachespiel – Arno Strobel

Thriller

Erschienen: 23.01.2014 im FISCHER Taschenbuch

Taschenbuch

352 Seiten

10,4 x 10,3 x 10,2 cm

ISBN: 978-3596196944

Rezi „Man stirbt nicht lautlos in Tokyo“ – Jan Flieger

Man stirbt nicht lautlos in Tokyo – Jan Flieger


„Die Zeit lief gegen ihn. Denn der Tod konnte schnell kommen, und er wollte nicht sterben ohne die Vergebung seiner Tochter.“

Kai Pechstein ist ein totkranker, ehemaliger GSG 9 Mitarbeiter und Polizeibeamte. Hier in der Millionenstadt Tokyo versucht er seine 19jährige Tochter zu finden, die sich von ihm und dem Leben in Deutschland abgewendet hat. Mit Hilfe des Detektivs erfährt er vom gewaltsamen Tod seiner Tochter und sinnt fortan auf Rache an den Yakuzas, welche seine Tochter auf dem Gewissen haben. Doch nicht nur Gewalt und Tod begleiten ihn ab sofort durch das Labyrinth von Tokyo, sondern auch die Liebe in Form der geheimnisvollen jungen Japanerin Nanako.

So ruhig wie der Titel kommt auch das Cover von Man stirbt nicht lautlos in Tokyo daher. Aus dem zartrosa Abendhimmel ragt ein Pfeiler der Rainbow-Brücke erhaben empor und verliert sich immer mehr im Horizont der dahinter liegenden Stadt, wie ein Weg, dessen Ende man noch nicht kennt.

Pechstein, der Gaijin mit den Augen „… deren Farbe an eine sehr ausgeblichene hellblaue Jeans …“erinnerten, will Rache. Er verwandelt sich in einen Teil des Molochs Tokyo, taucht ein in die Millionenstadt mit ihren Garküchen, U-Bahnen und grellbunten Neonröhren, macht sich deren Anonymität zu Nutzen, um an die Mörder seiner Tochter zu gelangen. Ranghohe Yakuzas sind seine Gegner, welche ihrerseits versuchen ihn auszuschalten. Das Ende ist unausweichlich der Tod.

Ein militärisch strenger Vater und seine freiheitsliebende, aufbegehrende Tochter, eine Millionenstadt der sich ein Einzelner entgegenstellt, ein totgeweihter Mann gegenüber einer wunderschönen, jungen, vitalen Frau. Immer wieder trifft der Leser auf derartige Gegensätzen, mit welchen Jan Flieger in seinem Thriller spielt und mit denen er immer wieder von neuem Spannungspunkte setzt. Ebenso Pechsteins Husten, der ihm seine Endlichkeit, die damit verbundene Zeitnot hinsichtlich seiner Rachepläne immer wieder vorhält und ihn somit vorantreibt. Jedoch ist der Roman weit entfernt von einer unendlichen Hatz oder Kopflosigkeit. Im Gegenteil, Jan Flieger gibt sowohl seinem Protagonisten als auch dem Leser immer ausreichend Platz sich zu sammeln und zu verweilen. Wie im Film sieht man das bunte Treiben vorbeiziehen, um sich dabei wie im Auge eines Sturms zu fühlen.

„Spät abends lief er ziellos und hustend durch die quirligen Straßen von Kabukicho, lief im gleißenden Neonlicht durch dieses endlose Sündenbabel Tokyos, blickte in die lockenden Augen der Dirnen und die werbenden der Anreißer im grellen Outfit vor den Bars, vorbei lief er an chinesischen Clubs und Girlie-Bars, an Love Hotels für die schnelle Liebe und an Nudellokalen, an Sushi-Bars, an Peepshows und Dessous-Bars, an koreanischen Grillrestaurants und SM-Clubs mit gnadenlos, peitschenden Schönen, an Striplokalen, an einem wie verloren wirkenden Polizeihäuschen, und er sah japanische Schülerinnen in ihren Schulkostümen, die offensichtlich auf den Strich gingen für ihre teuren Modewünsche und blitzschnell verschwanden, wenn sie einen Polizisten wahrnahmen.“

Jan Flieger schafft es eine ganz eigene Atmosphäre zu erzeugen, in der Angst, Hoffnungslosigkeit und der Drang nach Erlösung gleichberechtigt nebeneinander her schwingen, so das keine Längen entstehen, der Leser nicht zu lange in einer Situation mit dem Protagonisten verhaftet bleibt und sich zu langweilen beginnt.

Meine Wahl, diesen Thriller zu lesen fiel sehr bewusst, da für mich von Japan ein ganz eigener Reiz ausgeht. Schon früh verfiel ich diesem Zauber von tief verhafteter Tradition und dem gegenüberstehenden gnadenlosen Entwicklungsdrang Richtung Zukunft dieses Landes. Fasziniert schaue ich mir noch heute alte Samurai Filme an und Reportagen über die schier endlosen Kuriositäten japanischer Großstädte. Jan Flieger hat mich dahingehend nicht enttäuscht. Er erzählt schonungslos und klar, an manchen Stellen überaus detailreich (VORSICHT, eine Szene ist definitiv nichts für sanfte und magenschwache Gemüter!), greift manchmal ein wenig hoch, wenn der totkranke Pechstein zu einem Actionhelden mutiert, um danach wieder Zusehens zu verfallen.

Man stirbt nicht lautlos in Tokyo, denn es bleibt immer etwas zurück – ein Echo, welches der Tote hinterlässt. Ein Echo seines Lebens und Handelns.

Leseempfehlung? Definitiv.

Für wen? Schwierig zu sagen. Ich glaube nicht, dass der Thriller jedermanns Geschmack treffen wird. Aber wer das Fremde, das Ungewöhnliche mag sollte einen Blick hineinwerfen und sich mit auf eine, in meinen Augen interessante Reise mitnehmen lassen.



Man stirbt nicht lautlos in Tokyo – Jan Flieger

Japan-Thriller

Erschienen: 24.02.2013 im Fhl VerlagLeipzig

Broschiert

200 Seiten

19 x 12,4 x 1,8 cm

ISBN: 978-3942829359

Nominierungen für den Friedrich-Glauser-Preis 2014

© syndikat

Die Entscheidungen sind gefallen – die Jurys des Syndikats haben gewählt.

Hier findet Ihr alles Nominierten für den diesjährigen Friedrich-Glauser-Preis in den Kategorien 

  • Roman
  • Debut
  • Kurzkrimi

Ebenso findet sich hier die Auswahl der Kinderjury zum Hansjörg-Martin-Preis, dem Preis für den besten Kinder- und Jugendkrimi.

© Paul Bernhard

Wer die begehrte Trophäe mit nach Hause nehmen darf entscheidet sich auf dem Tango Criminale, am  24. Mai 2014  in Nürnberg.