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Man stirbt nicht lautlos in Tokyo – Jan Flieger |
„Die Zeit lief gegen ihn. Denn der Tod konnte schnell kommen, und er wollte nicht sterben ohne die Vergebung seiner Tochter.“
Kai Pechstein ist ein totkranker, ehemaliger GSG 9 Mitarbeiter und Polizeibeamte. Hier in der Millionenstadt Tokyo versucht er seine 19jährige Tochter zu finden, die sich von ihm und dem Leben in Deutschland abgewendet hat. Mit Hilfe des Detektivs erfährt er vom gewaltsamen Tod seiner Tochter und sinnt fortan auf Rache an den Yakuzas, welche seine Tochter auf dem Gewissen haben. Doch nicht nur Gewalt und Tod begleiten ihn ab sofort durch das Labyrinth von Tokyo, sondern auch die Liebe in Form der geheimnisvollen jungen Japanerin Nanako.
So ruhig wie der Titel kommt auch das Cover von Man stirbt nicht lautlos in Tokyo daher. Aus dem zartrosa Abendhimmel ragt ein Pfeiler der Rainbow-Brücke erhaben empor und verliert sich immer mehr im Horizont der dahinter liegenden Stadt, wie ein Weg, dessen Ende man noch nicht kennt.
Pechstein, der Gaijin mit den Augen „… deren Farbe an eine sehr ausgeblichene hellblaue Jeans …“erinnerten, will Rache. Er verwandelt sich in einen Teil des Molochs Tokyo, taucht ein in die Millionenstadt mit ihren Garküchen, U-Bahnen und grellbunten Neonröhren, macht sich deren Anonymität zu Nutzen, um an die Mörder seiner Tochter zu gelangen. Ranghohe Yakuzas sind seine Gegner, welche ihrerseits versuchen ihn auszuschalten. Das Ende ist unausweichlich der Tod.
Ein militärisch strenger Vater und seine freiheitsliebende, aufbegehrende Tochter, eine Millionenstadt der sich ein Einzelner entgegenstellt, ein totgeweihter Mann gegenüber einer wunderschönen, jungen, vitalen Frau. Immer wieder trifft der Leser auf derartige Gegensätzen, mit welchen Jan Flieger in seinem Thriller spielt und mit denen er immer wieder von neuem Spannungspunkte setzt. Ebenso Pechsteins Husten, der ihm seine Endlichkeit, die damit verbundene Zeitnot hinsichtlich seiner Rachepläne immer wieder vorhält und ihn somit vorantreibt. Jedoch ist der Roman weit entfernt von einer unendlichen Hatz oder Kopflosigkeit. Im Gegenteil, Jan Flieger gibt sowohl seinem Protagonisten als auch dem Leser immer ausreichend Platz sich zu sammeln und zu verweilen. Wie im Film sieht man das bunte Treiben vorbeiziehen, um sich dabei wie im Auge eines Sturms zu fühlen.
„Spät abends lief er ziellos und hustend durch die quirligen Straßen von Kabukicho, lief im gleißenden Neonlicht durch dieses endlose Sündenbabel Tokyos, blickte in die lockenden Augen der Dirnen und die werbenden der Anreißer im grellen Outfit vor den Bars, vorbei lief er an chinesischen Clubs und Girlie-Bars, an Love Hotels für die schnelle Liebe und an Nudellokalen, an Sushi-Bars, an Peepshows und Dessous-Bars, an koreanischen Grillrestaurants und SM-Clubs mit gnadenlos, peitschenden Schönen, an Striplokalen, an einem wie verloren wirkenden Polizeihäuschen, und er sah japanische Schülerinnen in ihren Schulkostümen, die offensichtlich auf den Strich gingen für ihre teuren Modewünsche und blitzschnell verschwanden, wenn sie einen Polizisten wahrnahmen.“
Jan Flieger schafft es eine ganz eigene Atmosphäre zu erzeugen, in der Angst, Hoffnungslosigkeit und der Drang nach Erlösung gleichberechtigt nebeneinander her schwingen, so das keine Längen entstehen, der Leser nicht zu lange in einer Situation mit dem Protagonisten verhaftet bleibt und sich zu langweilen beginnt.
Meine Wahl, diesen Thriller zu lesen fiel sehr bewusst, da für mich von Japan ein ganz eigener Reiz ausgeht. Schon früh verfiel ich diesem Zauber von tief verhafteter Tradition und dem gegenüberstehenden gnadenlosen Entwicklungsdrang Richtung Zukunft dieses Landes. Fasziniert schaue ich mir noch heute alte Samurai Filme an und Reportagen über die schier endlosen Kuriositäten japanischer Großstädte. Jan Flieger hat mich dahingehend nicht enttäuscht. Er erzählt schonungslos und klar, an manchen Stellen überaus detailreich (VORSICHT, eine Szene ist definitiv nichts für sanfte und magenschwache Gemüter!), greift manchmal ein wenig hoch, wenn der totkranke Pechstein zu einem Actionhelden mutiert, um danach wieder Zusehens zu verfallen.
Man stirbt nicht lautlos in Tokyo, denn es bleibt immer etwas zurück – ein Echo, welches der Tote hinterlässt. Ein Echo seines Lebens und Handelns.
Leseempfehlung? Definitiv.
Für wen? Schwierig zu sagen. Ich glaube nicht, dass der Thriller jedermanns Geschmack treffen wird. Aber wer das Fremde, das Ungewöhnliche mag sollte einen Blick hineinwerfen und sich mit auf eine, in meinen Augen interessante Reise mitnehmen lassen.
Man stirbt nicht lautlos in Tokyo – Jan Flieger
Japan-Thriller
Erschienen: 24.02.2013 im Fhl VerlagLeipzig
Broschiert
200 Seiten
19 x 12,4 x 1,8 cm
ISBN: 978-3942829359