„Blutzucker“ – Leif Tewes

Blutzucker – Leif Tewes
„Mit dem verbliebenen Geld aus der Kriegskasse wird deren neue Therapie für Bauchspeicheldrüsenkrebs bald marktreif. Ausgelastete Zuckerfabriken, treue Diabetiker, teure und langwierige Krebstherapien, was braucht man mehr?“

WorldFood – ein weltweit agierender Lebensmittelkonzern, der genau weiß, wie man sich seine treue Kundschaft heranzieht. Dank Paul Hartmann, ein ziemlich pfiffiger Lebensmittelchemiker, der dem Unternehmen mit seinen Ideen immer wieder zu marktführenden Positionen verhilft. Paul selber bleibt dabei völlig auf der Strecke. Aufstehen – atmen – arbeiten – schlafen. Sein persönlicher Antrieb, seine Vision aufs Leben sind vor Jahren bei der Explosion einer Autobombe mit seiner damaligen Freundin Karin gestorben. Als er auf einer Party die Journalistin Nicole kennenlernt, nimmt sein Leben unvermittelt eine Wende. Die Enthüllungsjournalistin hat sich bereits auf die Lauer gelegt, um dem Weltkonzern WorldFood und deren seltsamen Machenschaften, insbesondere die von  Manager Meininger, welcher Pauls Vorgesetzten ist, das Handwerk zu legen. Meinigner hat im Gegensatz zu Paul eine Vision, nämlich die eines Posten im Aufsichtsrat. Nicole erzeugt in Paul eine neue Vision und dieser lässt sich, zunächst noch zögerlich, auf das Abenteuer mit Nicole und deren vernichtenden Kreuzzug gegen den Lebensmittelkonzern ein.

Parallel ermittelt die Kriminalpolizei in einem Mordfall. Eine Frau wurde erstochen in ihrer Wohnung aufgefunden. Ihre Identität ist nicht einfach auszumachen. Die Kommissare Berg und Landers begeben sich auf die Suche und geraten dabei in Gefahr.

Was hat ganz normaler Zucker mit einem „GRAS“-Stempel zu tun? Wie verquert ist es, dass Coca-Cola und McDonalds Antipositas-Kongresse sponsern? Vermindern kleinere Nahrungsmittel-Verpackungen auch deren Konsum?

Soziale- und auch Nachrichtenmedien kolportieren im Stundentakt neue Informationen über Gut und Böse einzelner Lebensmittel, deren Wirkungen oder auch globale Auswirkungen. Eigentlich sollte der Verbraucher aufmerksam und gut informiert sein. Ist er es wirklich? Sehen wir nicht viele Meldungen als Falschnachrichten oder Verschwörungen an? Kann der Verbraucher überhaupt das Netzwerk, welches sich hinter einem Lebensmittelkonzern verbirgt entwirren?

Blutzucker ist ein intelligenter Roman noir, der sich mit genau dieser Thematik befasst. Sehr detailreich bringt Autor Leif Tewes dem Leser nahe, welchen Stellenwert das Nahrungsmittel Zucker in der Welt hat und welches Unwesen damit nicht nur fiktiv getrieben wird.

Hauptperson Paul Hartmann ist dabei kein Held im eigentlichen Sinne. Kein James Bond, kein MacGyver oder A-Team. Leise und heimlich versucht er, der den Blick in die Zukunft verloren hatte,  mittels seines Wissen und Möglichkeiten, seine Freundin Nicole in ihrem Vorhaben zu unterstützen. Er lebt auf beim Gedanken an das Risiko welches sie eingehen, ohne sich nur annähernd ausmalen zu können, was tatsächlich auf sie zukommen wird. Dabei entwickelt der sonst so konservative Chemiker Ideen, welche ihm zuvor noch Angst eingejagt hätten. Zielsicher richtet er seine Vernichtungsgelüste nicht ausschließlich auf seinen Arbeitgeber, sondern sehr speziell auch auf seinen Vorgesetzten Meininger, der sein Ziel als Aufsichtsratsmitglied noch mehr an Macht, Geld und Einfluss zu gewinnen, in Gefahr sieht und zu allen Mitteln greift, um seinem unbekannten Gegenspieler außer Gefecht zu setzen.

Mit viel psychologischen Fingerspitzengefühl bringt Leif Tewes dem Leser die einzelnen Figuren und deren Leben nahe, lässt ihn in den Politthriller eintauchen und baut einen wohldosierten Spannungsbogen auf, welcher in einem ereignis- und wendungsreichen Showdown endet.

Fazit: Ein sehr intelligenter Roman mit aktuellen, politischen Bezug, der in meinen Augen keine Wünsche offen lässt und noch nach lange nachhallt.

Leseempfehlung? Ein klares Ja.

Blutzucker – Leif Tewes


Krimi


Erschienen am 15. März 2017 im Größenwahn Verlag


250 Seiten


Taschenbuch


ISBN-10: 3957711320

ISBN-13: 978-3957711328
Auch in der Kindl Edition erhältlich:
ASIN: B06XPYLCKG

 

„Die Filmerzählerin“ – Hernán Rivera Letelier

Die Filmerzählerin – Hernán Rivera Letelier
Zu Hause waren wir fünf Geschwister. Vier Jungs und ich.

Als mein Vater auf die Idee mit dem Wettbewerb kam, war ich zehn Jahre alt und in der dritten Klasse Grundschule. Seine Idee bestand darin, uns nacheinander ins Kino zu schicken und uns dann den Film erzählen zu lassen. Wer ihn am besten erzählte, würde jedes Mal gehen dürfen, wenn ein guter Film lief

Darf ich vorstellen? Maria Margarita, Tochter eines behinderten Minenarbeiters in der chilenischen Atacama-Wüste. Die Mutter hat sich beizeiten aus dem Staub gemacht, um nicht den Rest ihres jungen Lebens fünf Kinder und einen gelähmten Gatten mittels einer spärlichen Invalidenrente durchzubringen.

Da kein Geld vorhanden ist, dem Vater seine tägliche Weinration zuzugestehen und alle Kinder ins Kino zu schicken, kommt dem Vater die Idee, des Wettbewerbs zum Filmerzähler. Obwohl die jüngste in Bunde, setzt sich Maria Margarita durch und versorgt von nun an, zunächst nur die Familie, dann einige Nachbarn und schlussendlich fast das ganze Dorf mit ihren grandiosen Nacherzählungen der Kinofilme.

Das Buch von Autor Hernán Rivera Letelier ist mir durch Zufall auf einem Flohmarkt in die Hand gefallen. Es ist ein kleines, schmales Buch von etwas mehr als 100 Seiten, was dem Roman keinen Abbruch tut. Letelier versetzt sich in eine Zehnjährige, die selbst über ihr Talent überrascht ist und darin ihre Zukunft sieht. Mit viel Empathie, einer großen Portion Humor und Situationskomik, aber auch Wehmut, darf der Leser dem Leben der Hauptdarstellerin in anschaulicher Weise folgen. Dass der Roman ein wenig dahin plätschert hat mich dabei wenig gestört. Es gibt keinen riesigen Spannungsbogen, keine Schenkelklopfer oder poetischen Meisterleistungen und doch ist es ein eher leises, lesenswertes Buch, welchem nicht an Realismus fehlt. Es bringt einem das Sprachgefühl einer anderen Kultur näher – ein Perspektivwechsel.

Wer sich mit dem Autor Letelier befasst, wird schnell erkennen, dass seine Geschichten nicht reiner fiktiver Natur sind, sondern oftmals seinem Leben entnommen sind. Zum Schreiben kam er aus reiner Not. Ein Radiosender hatte einen Wettbewerb zu einem Gedicht ausgerufen, dessen erster Preis ein Essen in einem teuren Restaurant war. Letelier schrieb ein vierseitiges Liebesgedicht, gewann und ist bis dato kein unbekannter in der spanisch schreibenden Literaturgemeinde.

Fazit: Für mich ein überraschendes Kleinod. Eine Geschichte, die nicht mehr als knapp 100 Seiten braucht um einen in kurzer Zeit in eine weit entfernte, andersartige Welt zu entführen. Eigentlich ein schöner Stoff, um daraus einen Film zu machen, der in Programmkinos seine Fans finden würde.

Leseempfehlung? Ja. Mich hat die der Roman zu keinem Zeitpunkt gelangweilt. Er ist eine perfekte kurze Ablenkung vom lärmenden, hektischen Alltag. Letelier bringt Dinge auf den Punkt, bedient sich dabei einer klaren Sprache ohne viele Schnörkel, aber mit leiser Hintergrundmelodie.

Die Filmerzählerin – Hernán Rivera Letelier

Roman


Erschienen am 21. Februar 2011 im Insel Verlag


104 Seiten


Taschenbuch


ISBN-10: 3458358226

ISBN-13: 978-3458358220


Auch in der Kindl-Edition erschienen

ASIN: B007THNCR0

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