Rezi „Der Angstmann“ – Frank Goldammer

Der Angstmann – Frank Goldammer


Heller schmeckte Asche und Blut. Kaum öffnete der den Mund, schien ihm die Zunge zu verdorren. Er konnte nur noch durch die Schlitze zwischen seinen Fingern etwas sehen. Er warf sich den Mantel über den Kopf und lief langsam vorwärts.

Dresden im Herbst 1944. Inmitten der Kriegswirren werden aufs Äußerste malträtierte Frauenleichen gefunden.

„Das war der Angstmann, nicht?“

Heller sah auf. „Der Angstmann?“

„Mutter sagt, der Angstmann geht um.“

„Der Angstmann? Wer soll das sein?“

„Fängt kleine Kinder!“ Alwin war es sehr ernst und sein Kinn zitterte.

Kriminalinspektor Max Heller kann keinem Kindergerücht glauben. Zumal es sich bei den Toten um Frauen und keine Kinder handelt. Doch so ganz lässt ihn die Geschichte nicht los. Mithilfe seines Kollegen Oldenbusch und dem Pathologen Dr. Schorrer versucht er einen Ermittlungsansatz zu finden. Eine der Toten war Krankenschwester im Hospital.

Heller ist kein Nazi. Er ist alles andere als linientreu. Der Hitlergruß widerstrebt ihm. Er ist kein einsamer Wolf. Kein Widerständler. Und doch schwimmt er mit im Strom der Politik, um seinen Kopf über Wasser halten zu können. Für sich, seine Frau Karin und seine an der Front kämpfenden Söhne.

Kein einfaches Unterfangen zumal sein Vorgesetzter, SS-Obersturmbannführer Klepp, ihn immer wieder ausbremst. Klepp, Nazi durch und durch, hält Heller immer wieder vor „das große Ganze“ weder erfassen noch verstehen zu können. Wichtig für ihn, schnellstmöglich der Gesellschaft einen Schuldigen vorsetzen zu können. Bestenfalls einen Juden, Ausländer oder sonst minderwertigen Menschen.

„Sehe Sie, Heller“, hob er plötzlich an zu sprechen und drehte sich zu den Männern um … „Wer Frösche frisst, frisst auch kleine Mädchen …“.

Hoffnungsschimmer werden zu Kondensstreifen, die schneller verschwinden als sie auftauchen.

Diesmal hatte er ihn beinahe schon gehabt. Er hatte sein Geheul gehört, gerade als der Voralarm verstummt war. „Komm“, hatte der Angstmann geflüstert. „Komm her. Komm her zu mir! Süßes hab ich für dich“, hatte er gesäuselt, „feine Sachen, süße Sachen! Komm nur, sei Liebkind.“

Inmitten der Jagd nach dem Phantom, bricht am 13. Februar 1945 der Feuersturm über Dresden und Heller los.

Das Geheul der Sirenen ebbte ab. Keine Entwarnung? Und dieses andere Geräusch, diese Vibration? War das Gewittergrollen?

Danach ist nichts mehr wie es war. Dresden, ein Hort von Ruinen und Leichen, die sich gleichermaßen hoch türmen. Hitler tot. Judikative, Legislative und Exekutive außer Kraft gesetzt. Heller ohne Job in einer russisch besetzten Stadt. Der Angstmann? Er dürfte das Inferno nicht überlebt haben. Oder doch? Heller hat das Gefühl, dass die Jagd noch nicht zu Ende ist und nimmt die Fährte mit ungewöhnlicher Hilfe wieder auf.

Plastisch und realistisch, sind die ersten Worte, die mir nach Beenden des Romans durch den Kopf schossen. Erinnerungen an die Geschichten meiner Eltern und Großmutter, die den Krieg miterlebt hatten, kamen wieder hoch. Mit viel Einfühlungsvermögen hat Autor Frank Goldammer die dunkelsten Stunden Dresden authentisch eingefangen und darin einen sehr spannenden und facettenreichen Krimi eingebettet. Als roter Faden dient ihm das Thema Angst, welche sich in der damaligen Politik und ihren Auswirkungen, dem Misstrauen gegenüber Freunden, Kollegen und Fremden äußert. Leib und Leben waren permanent in Gefahr, sei es durch Hunger und Not, als auch Repressalien seitens Neider. Einem traumwandlerischen Seiltänzer gleich, balanciert Goldammer mit der Historie und seinem Krimi. Das Gleichgewicht der beiden Romanteile ist ausgeklügelt. Eine effekthaschende Überlagerung der Kriegsgräuel weiß Goldammer geschickt auszublenden, so dass die Geschichte zu jedem Zeitpunkt rund wirkt.
Heller ist der gebremste Held des Romans, seine Frau Karin sein seelisches Ausgleichgewicht. Die weiteren Charaktere sind nicht immer gleich in Gut und Böse einteilbar. Vieles bleibt hinter einem Schleier versteckt, der sich erst mit der Zeit lüftet und dem Roman viele überraschende Wendungen verleiht. Goldammer zerrt nicht permanent am Spannungsbogen, vielmehr geleitet er den Leser geradezu mit unsichtbarer Hand durch die Geschichte, ohne dabei in ausschweifenden Beschreibungen zu verlieren und setzt Cliffhanger gekonnt ein.

Fazit: Ein hervorragender Krimi, gepaart mit dunklen historischen Ereignissen, einprägsamen Figuren und einer klaren, eindrucksvollen Sprache.

Leseempfehlung? Unbedingt, nicht nur für geschichtlich interessierte Leser.
Der Angstmann – Frank Goldammer
Kriminalroman
Erschienen am 23. September 2016 bei dtv Verlagsgesellschaft
336 Seiten
Taschenbuch

ISBN-10: 342326120X  
ISBN-13: 978-3423261203
Auch in der Kindl-Edition erschienen
ASIN: B01GRS9NYW
und als mp3-CD, gelesen von Heikko Deutschmann
ISBN-10: 3862318303 
ISBN-13: 978-3862318308
 

Premierenlesung: „Wer mordet schon in Köln?“ mit Regina Schleheck

Tatzeit: Montag, 22. August 2016 – 20:00 Uhr
Tatort: bunker k101 – Köln
Täter: Regina Schleheck
Zeugen: WolffsBeute und diverse andere Personen
Motiv: Premierenlesung aus der Anthologie „Wer mordet schon in Köln“
Wie geschaffen, war der Ort für Regina Schlehecks Premierenlesung. Kalte und kahle Wände, leere Gänge mit diversen Nischen und einer Akustik, welche ein 8-faches Echo hervorbringen kann. Nach einem kurzen Interview für die Kölner Rundschau begrüßte Petra Bossinger, 2. Vorsitzende des Vereins „Förderkreis Hochbunker Körnerstraße 101 e. V.“, die Premierengäste und stellte die Leverkusener Autorin kurz vor. Regina Schleheck nahm den Faden dankend auf und vervollständigte mit einigen Details ihre Vita.
Kurz umriss sie den Aufbau des Buches, das nicht nur eine geschichtliche Zeitreise durch Köln ist, sondern den Leser zugleich noch mit allerlei Informationen versorgt, über Orte, Geschehnisse oder Personen, die in den Geschichten Erwähnung finden. 
Wer ist der Platzjabbeck? Was hat es mit dem Gürzenich auf sich? Wer sind die Personen?
Zu den Geschichten.
Eine rein familiäre DamenWG namens Küpper  macht den Anfang. In „Walz, Walzer, Alzersheimer“, begegnen wir Oma – die nicht mehr die Jüngste ist, Mutter Ulrike – geistig derzeit etwas auf dem falschen Gleis und  Tochter Melle – sie findet im Karnevalstrubel ein männliches Alpenexemplar. Vater? Fehlanzeige, er ward nie gesehen und auch der Großvater hat beizeiten das Zeitliche gesegnet. Losgelöst von allen Sorgen folgen Melle und ihre Eroberung einen ganzen Tag dem tollen Treiben und landen des nächtens in der Küpperschen Wohnung. Die Nacht verläuft noch ruhig, doch am kommenden Morgen steht Oma mit einem blutigen Messer in der Küche
Mit „Zwischen Hochöfen und Deutz-Tief“, greift Regina Schleheck zurück auf die Nazizeit in der Domstadt. Die Geschichte handelt von einer realen Person, dem Schulleiter der jüdischen Schule Erich Klibansky, der sich um seine Schüler sorgte und 130 Schüler vor der Deportation rettete, indem er sie nach England schickte. In der erzählten Handlung, welche rein fiktiv ist, dreht es sich um den jungen Kurt Spingelt, der von seinem ehemaligen Mitschüler Adolf die Nachricht erhält, dass dieser auf dem Weg in die USA ist. Auch Kurt wartet auf die Nachricht seiner Mutter, dass er bald Nazideutschland verlassen kann, wird aber jäh aus seinen Gedanken gerissen und zum Schulleiter zitiert, welcher ihm seltsame Fragen stellt ….

In der nun folgenden kurzen Pause, wurde vom Angebot das vorgestellte Buchs (und auch weitere Veröffentlichungen der Autorin) am Büchertisch zu erwerben und direkt signieren zu lassen, reger Gebrauch gemacht.

Nach der Pause ging es weiter mit „Vatermörder“, einer Familientragödie von illegalen Einwanderern aus Sri Lanka, erzählt aus der Sicht eines Enkels. Die Großeltern Kramer versuchen ihre Kinder mittels kleiner Betteleien über Wasser zu halten, damit diese sich nicht zu Weit in die Öffentlichkeit wagen müssen. Der Mord am Großvater und das daraus resultierende Selbstmordattentat der Großmutter werden zu einschneidenden Begebenheiten in der Familienhistorie der Kramers, so dass die Kinder ihren Lebensmittelpunkt in einem anderen Stadtviertel verlegen und versuchen neu anzufangen. Doch auch hier wächst der Samen der Rache weiter und so nimmt das Schicksal seinen Lauf

In der letzten Geschichte „Auf den Hund gekommen“, nimmt Regina Schleheck die wunderbaren, nicht immer geliebten, nachbarschaftlichen Verhältnisse auf des Pudels Kern/Korn. Was des einen Freud, ist des anderen Leid, so dass ersichtlich wird, dass nicht jeder weltoffen mit der Kultur oder den Eigenheiten seines Nachbarn umgehen kann. Hier, in dieser Geschichte, wunderbar mit den typischen  Floskeln und dem einzigartigen Liedgut der Rheinmetropolenbewohner unterstrichen. Wie nicht anders zu erwarten, wird auch hier wieder jemand unverhofft dem Tod ins Auge blicken … 

Mit begeistertem Applaus quittierte das Publikum Reginas Schlehecks Premierenlesung. Wer in der Pause noch kein Buch erworben hatte, strebte spätestens jetzt zum Büchertisch. Wieder einmal hat die Autorin mit ihren vielschichtigen Erzählungen überzeugt, welche ihr schon diverse Preise ( http://www.regina-schleheck.de/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=71&Itemid=321
) einbrachten. Dass ihr Ruf mitlerweile über die Grenzen von Leverkusen, Köln und NRW reicht, ist hierbei kein Wunder.

Das i-Tüpfelchen der Veranstaltung am Montagabend war dann noch die kurze Führung seitens Petra Bossinger durch den alten Hochbunker. Auch sie konnte die Gäste mit zahlreichen Informationen über die Geschichte und den Werdegang des bunker k101 unterhalten. Wer weiß schon, dass eines der noch lebenden kölschen Musik-Originale Jürgen Zeltinger – genannt De Plaat – hier mit seiner Band den ersten Proberaum bezog und mit vielen ihm folgenden Künstlern die Wände des Bunkers  beschallte.

Oder dass das Gebäude zwischenzeitlich auch mal ein Möbellager war, was einige der Wandbemalungen erklärt.

Die Veranstalung neigte sich gegen 22:30 Uhr dem Ende zu und alle waren sich einig, dass sie äußerst gelungen war.

Das Buch ist im Gmeiner Verlag erschienen unter der ISBN: 987-8392-1962-1 zu einem Preis von € 9,99 (Österreich € 10,30).

Weitere Informationen zu Regina Schleheck, ihren Veröffentlichungen und Lesungsterminen findet ihr hier:
http://www.regina-schleheck.de/index.php?option=com_content&view=article&id=207&Itemid=4