BURNOUT für immer auskuriert – Alice Spogis |
„Mit Wasser fühle ich mich seit jeher im Einklang.“
Ella Brandt möchte ihre Seele retten und begibt sich wegen eines akuten Burnouts auf die Insel Juist, in die dortige bekannte Dunenburg-Klinik. Hier begegnet sie nicht nur Leidensgenossen, sondern auch einem hochkompetenten Ärzteteam. So jedenfalls glaubt Ella es, stellt aber fest, dass die Klinik und ihre Patienten Geheimnisse umgeben. Zum einen gibt es den attraktiven Lysander, der ausschließlich barfuß herumläuft, zum anderen die schwerstdepressive, sich aber auf dem Weg der Besserung befindende Mascha, welche ein Auge auf eben jenen Lysander geworfen hat.
Gerade als Ella beginnt sich auf die Therapie einzulassen geschieht es. Mascha ist tot. Selbstmord. Dabei war sie doch so hoffnungsvoll gewesen. In Ella kommen immer mehr Zweifel auf, ob in der Klinik alles mit rechten Dingen zugeht. Lysander gerät mehr und mehr in ihr Fadenkreuz, denn auch die hochattraktive Mitpatientin Susann, welche ebenfalls an Lysander interessiert ist, wird tot aufgefunden. Selbstmord durch ertrinken – doch das klingt in Ellas Journalistenohren völlig verquert – Susann war bekanntlich eine hervorragende Schwimmerin.
Die Farben Schwarz, Weiß und Rot beherrschen das Buchcover. Ein mit Muscheln übersäter Strand mit Blick bis zum Horizont, über dem eine bedrohliche, dunkle Wolkendecke hängt. Einziger Farbtupfer ist der Kopf einer männlichen Puppe, der sehr verloren und ins leere blickend zwischen den Muscheln liegt.
„Die meisten Menschen sind Mörder, Sie töten einen Menschen. In sich selbst.“
Zitat von Stanislaw Jerzey Lec, zu Beginn des Romans.
Eine autofreie Insel. Eine gehandicapte Ermittlerin. Eine auf schwerste psychische Erkrankungen spezialisierte Klinik, in der unerwartete Selbstmorde geschehen und eine Gruppe ortsansässiger Klinik-Gegner. BURNOUT für immer auskuriert, Alice Spogis Debüt-Thriller hätte schief gehen können – ist er aber nicht. Der ehemaligen Journalistin und PR-Fachfrau ist mit eben diesen Eckpunkten ein ausgesprochen lesenswerter Roman gelungen.
Gut und böse, schwarz und weiß. So einfach macht Alice Spogis es dem Leser, Gott sei Dank, nicht. Sie malt ihre Geschichte in vielen Grautönen, benutzt dabei genauso den feinhaarigen Pinsel, wie die Tapentenkleisterbürste. Es sind die Gengensätze, mit denen die Autorin spielt und die sie geschickt einzusetzen weiß.
Hier und da gleitet sie ab und erzeugt Klischees, wenn beispielsweise Lysander zum ersten Mal in Erscheinung tritt: „Sein Haar passt nicht in diese Umgebung. Es ist glänzend und fast schwarz, nahezu ohne Silberfädchen, dabei schätze ich ihn bald zehn Jahre älter als mich, auf mindestens Mitte vierzig … In einer gepflegten Unbändigkeit fällt es ihm lang in den Nacken und lässt ihn zusammen mit seiner olivfarbenen Bräunung ein bisschen indianisch wirken …“. Auch wundert man sich über die körperlich doch sehr „verwundete“ Ella und ihre immer wieder aufkeimende Neugierde und Kraft sich den Dingen zu stellen, welche in Anbetracht ihrer Diagnose Burnout nicht recht passen will, aber dann doch mit einem nicht abreißen wollenden Selbsterhaltungstrieb und Überlebenswillen zu erklären ist.
Wie der Sand am Strand wird auch Ella immer wieder an- und fortgespült. Gedanken um ihre Mitpatienten, ihre Vergangenheit, seltsame Begebenheiten geben dadurch der Geschichte ein ebensolches wechselndes Tempo, lassen sie mit ihrer Hauptdarstellerin und deren Malessen immer wieder fast verharren, um dann daraus mit neuen Aspekten versorgt an Spannung zuzulegen.
Oftmals spielt Alice Spogis mit der Sprache. Einerseits setzt sie Statements und beschreibt Szenen glasklar und ohne Rücksicht, andererseits gibt sie sich hemmungslos ihren Gefühlen hin und fasst diese dann in fast schwelgende Worte.
„Ohne dass ich darüber nachdenken muss, gleite ich in eine tröstende Selbstverständlichkeit hinein. Das Wasser umschmeichelt mich wie einen Liebhaber. Ich lasse mich von ihm tragen, sauge Stille und Weite, die nur hier und da von einer jagenden Möwe und zerfasernden Wolkenlandschaft am Himmel unterbrochen werden, wie einen Heiltrunk in mich ein. Für den Moment fühle ich mich erfrischt, als habe ich meine Haut abgestreift, die Wand zwischen mir und der Realität durchbrochen. Ich werde eins mit dem Wasser, lasse mich von der Gischt aufkommender Wellen liebkosen und spüre meine Augen als Fremdkörper. Wie sandgerieben brennen sie unter den Kontaktlinsen. Alles wund.“
Jeder, der das Meerwasser liebt und darin gerne schwimmt, kann die niedergeschriebenen Empfindungen nachvollziehen. Es sind diese Textpassagen, die den Leser mit der Figur verbinden, sie ihnen näher bringt als jede noch so detaillierte Personenbeschreibung es könnte.
Aber zurück zum, Ursprung der Geschichte – dem Thriller. Es ist die Spannung, die Alice Spogis niemals aus den Augen verliert. Sie legt falsche Fährten, lässt Figuren über die Klinge springen und der Leser beginnt zu ahnen, dass das Ende naht. Die Lösung erweist sich hier nicht mehr als eine solche riesige Überraschung und doch baut die Autorin einen sehr interessanten Showdown auf, der mit Überraschungen aufzuwarten weiß.
Fazit: Gelungen, gelungen, gelungen. Lesen, genießen, mitleiden und mitfiebern.
Pluspunkt des Romans: Die schematische Zeichnung vor dem Prolog, in der die Örtlichkeiten der Dunenburg-Klinik dargestellt wurden. Eine Orientierungshilfe.
Leseempfehlung? Ich bitte darum!
Für wen? Uneingeschränkt für jeden, der gerne Thriller liest, welche nicht mit Seen von Blut aufwarten müssen.
BURNOUT für immer auskuriert – Alice Spogis
Juist-Thriller
Erschienen: 01.09.2013 im Sutton Verlag
19,6 x 12,4 x 3,6 cm
384 Seiten
Taschenbuch
ISBN: 978-3954002184
Auch von mir eine Leseempfehlung für alle, die gerne etwas Spannendes lesen und trotzdem auf Gräueltaten verzichten können.